Viertes Capitel - Erste Reise Mohammeds mit der Karavane
nach Syrien
Mohammed war jetzt zwölf Jahre alt, aber er hatte, wie wir
gezeigt haben, eine weit über seine Jahre hinausgehende
Verstandesreife. Der Trieb zur Nachforschung war in ihm rege
und wurde durch den Umgang mit Pilgern aus allen Theilen
Arabiens genährt. Dazu war sein Oheim Abu Taleb, außer seinem
priesterlichen Stande als Aufseher über die Kaaba, einer der
unternehmendsten Kaufleute des Stammes Koreisch, und hatte
viel mit den Karavanen zu thun, die sein Ahnherr Haschem, der
nach Syrien und Yemen Handel trieb, in Gang gebracht hatte.
Die Ankunft und Abreise dieser Karavanen, welche sich an
Mekkas Thoren drängten und seine Straßen mit fröhlichem Lärmen
füllten, waren für einen Jüngling wie Mohammed anregende
Ereignisse und trugen seine Einbildungskraft nach fremden
Ländern. Er konnte die brennende Wißbegierde, welche auf diese
Art erregt worden war, nicht länger unterdrücken, sondern hing
sich eines Tags an seinen Oheim, als dieser sein Kameel
besteigen und mit der Karavane nach Syrien abreisen wollte und
bat denselben inständig um die Erlaubniß, ihn begleiten zu
dürfen. »Denn wer wird, o mein Oheim,« sagte er, »für mich
Sorge tragen, wenn du fort bist?«
Die Bitte war bei dem gutherzigen Abu Taleb nicht
vergeblich. Dieser erwog außerdem bei sich, daß der Jüngling
in einem Alter wäre, wo er die bewegte Bühne des arabischen
Lebens betreten, und eine Fassungskraft hätte, durch welche er
bei der Erfüllung der Pflichten gegen die Karavane
wesentlichen Nutzen stiften könnte. Daher gewährte er ihm
bereitwillig die Bitte und nahm ihn mit sich auf die Reise
nach Syrien.
Die Straße führte durch Gegenden, welche an Fabeln und
Sagen fruchtbar sind; es ist das Vergnügen der Araber, diese
an den abendlichen Haltepuncten der Karavane zu erzählen. Die
ungeheuern Einöden der Wüste, in welchem dieses wandernde Volk
einen so großen Theil des Lebens zubringt, sind zur Erzeugung
abergläubischer Gebilde geeignet. Dem zufolge haben sie
dieselben mit guten und bösen Geistern bevölkert und in
Zaubermährchen mit wundervollen Ereignissen gehüllt, welche in
alten Tagen sich ereignet haben sollen. An diesen abendlichen
Halteplätzen der Karavane sog Mohammeds jugendliches Gemüth
ohne Zweifel viele jener abergläubischen Meinungen der Wüste
ein, welche nachher stets in seinem Gedächtnisse blieben und
einen mächtigen Einfluß auf seine Einbildungskraft hatten. Wir
können besonders zwei Sagen bemerken, welche er zu dieser Zeit
gehört haben muß, und die wir in nachfolgenden Jahren durch
ihn im Koran aufbewahrt finden. Eine bezieht sich auf den
gebirgigen District Hedjar (Heddschar). Hier wurden, als die
Karavane auf dem Wege durch schweigsame und verlassene Thäler
sich fortwand, Höhlen in den Seiten der Berge gezeigt, welche
einst die Beni Thamud, d. i. Kinder Thamuds, einer der
»verlornen Stämme« Arabiens, bewohnten. Die Sage über sie ist
folgende:
Sie waren ein hochmütiges Riesengeschlecht, das vor der
Zeit des Patriarchen Abraham lebte. Da sie in blinde
Abgötterei gefallen waren, so sandte Gott einen Propheten
Namens Saleh, um sie auf den rechten Weg zurückzuführen. Sie
weigerten sich jedoch ihm zu gehorchen, wenn er die
Göttlichkeit seiner Sendung nicht dadurch bewiese, daß er ein
trächtiges Kameel aus dem Innern eines Berges herauskommen
ließe. Saleh betete demgemäß und siehe ein Fels öffnete sich
und ein weibliches Kameel kam hervor, welches bald ein Fohlen
warf. Einige der Thamuditen wurden durch dieses Wunder
überzeugt und durch den Propheten von ihrer Abgötterei
bekehrt; der größere Theil jedoch verharrte im Unglauben.
Saleh ließ das Kameel zu einem Zeichen bei ihnen, sie
bedeutend, daß ein Gericht vom Himmel auf sie fallen würde,
würden sie ihm ein Leid zufügen. Eine Zeit lang ließen sie das
Kameel auf ihren Weideplätzen sich ruhig nähren; es ging am
Morgen hinaus und kehrte am Abend zurück. Es ist wahr, daß es
den Kopf, wenn es ihn zum Trinken aus einem Bache oder einer
Quelle niederbeugte, nie eher erhob, als bis es den letzten
Tropfen Wasser eingesogen hatte; aber alsdann gab es bei
seiner Rückkehr Milch genug, um den ganzen Stamm zu versorgen.
Als es jedoch die andern Kameele von der Weide verscheuchte,
so wurde es bei den Thamuditen ein Gegenstand des Aergernisses;
sie fingen und tödteten es. Hierauf geschah ein fürchterliches
Geschrei vom Himmel und ein ungeheurer Donnerschlag, und am
Morgen wurden alle Uebelthäter todt, auf den Gesichtern
liegend, gefunden. So wurde der ganze Stamm von der Erde
vertilgt und sein Land wurde nachher für immer mit dem Fluche
des Himmels belegt.
Diese Geschichte machte einen mächtigen Eindruck auf
Mohammeds Gemüth, so daß er in der Folgezeit seine Leute in
der Nachbarschaft kein Lager aufschlagen ließ, sondern ihnen
gebot, von dort als aus einer verfluchten Gegend wegzueilen.
Eine andere Sage, welche er auf dieser Reise kennen lernte,
bezog sich auf die am rothen Meere gelegene Stadt Eyla. Dieser
Platz, erzählte man ihm, wurde in alten Zeiten von einem
Judenstamme bewohnt; dieser fiel in Abgötterei und entweihte
den Sabbath, indem er am heiligen Tage fischte, weshalb die
alten Leute in Schweine und die jungen in Affen verwandelt
wurden.
Wir haben diese zwei Sagen besonders erwähnt, weil beide
von Mohammed als Zeugnisse des göttlichen Gerichts über das
Verbrechen der Abgötterei angeführt werden und beweisen, daß
sein jugendliches Gemüth schon diesen wichtigen Grundbegriff
auffaßte.
Die moslemischen Schriftsteller erzählen uns, wie
gewöhnlich, von wundervollen Vorkommnissen, welche dem
Jünglinge während dieser Reise angeblich begegneten und den
Beweis von der beständigen Obhut des Himmels lieferten. Zu
einer Zeit schwebte über ihm, als er den glühenden Sand der
Wüste durchschritt, ungesehen ein Engel, welcher ihn mit
seinen Flügeln beschirmte; das ist jedoch ein Wunder, welches
offenbar nicht auf der Aussage eines Augenzeugen beruht; ein
anderes Mal wurde er von einer Wolke bedeckt, welche während
der Mittagshitze über seinem Haupte hing, und als er bei noch
einer andern Gelegenheit den spärlichen Schatten eines
verwelkten Baumes suchte, so trieb dieser plötzlich Blätter
und Blüthen.
Die Karavane kam endlich in Bosra oder Bostra an, einer
Stadt auf der Gränze Assyriens in dem Gebiete des Stammes
Manasse jenseits des Jordans. In der biblischen Zeit war es
eine Stadt der Leviten gewesen, aber jetzt wurde sie von
nestorianischen Christen bewohnt. Es war ein großer
Handelsplatz, welcher von den Karavanen alljährlich besucht
wurde. Hier gelangten unsere Reisenden zu einem Haltepunkte
und schlugen neben einem Kloster nestorianischer Mönche das
Lager auf. Von dieser Brüderschaft wurden Abu Taleb und sein
Neffe mit großer Gastfreundschaft bewirthet. Einer der Mönche,
von Einigen Sergius, von Andern BahiraEinige behaupten, dass
diese zwei Namen zwei Mönche bezeichnen, welche mit Mohammed
Unterredungen hielten. genannt, erstaunte bei der Unterhaltung
mit Mohammed über dessen frühe Verstandesreife und wurde durch
sein heftiges Verlangen nach Belehrung, welche sich
hauptsächlich auf Religionsgegenstände bezogen zu haben
scheint, angezogen. Sie hatten über solche Dinge häufige
Unterredungen mit einander, in deren Verlauf die Bemühungen
des Mönches vorzüglich gegen die Abgötterei in welcher der
junge Mohammed bisher erzogen worden war, gerichtet gewesen
sein müssen. Denn die nestorianischen Christen berurtheilten
streng nicht allein die Anbetung, sondern sogar die zufällige
Aufstellung der Bilder; ja sie trieben die Bedenklichkeiten in
diesem Punkte so weit, daß sogar das Kreuz, dieses allgemeine
Sinnbild der Christenheit, in dieses Verbot eingeschlossen
war.
Viele haben die Kenntniß der Grundlehren und Geschichte des
christlichen Glaubens, welche Mohammed im nachherigen Leben
bewies, jenen früheren Unterredungen mit diesem Mönche
zugeschrieben; es ist jedoch wahrscheinlich, daß er, im Laufe
nachfolgender Reisen, welche er nach Syrien machte, weiteren
Verkehr mit dem Letzteren hatte. Moslemische Schriftsteller
behaupten, daß der Antheil, welchen der Mönch an dem jungen
Fremdlinge nahm, daraus entstanden wäre, daß er zwischen
dessen Schultern das Siegel des Prophetenthums zufällig
bemerkt hätte. Er ermahnte Abu Taleb, sagen sie, daß er, wenn
er im Begriffe wäre, sich auf den Rückweg nach Mekka zu
machen, Sorge trüge, daß sein Neffe nicht in die Hände der
Juden fiele; denn er sah die Anfeindung und den Widerstand,
welche er in Ansehung dieses Volkes bekämpfen mußte, mit
prophetischem Auge vorher.
Es erforderte jedoch kein Wunderzeichen, daß ein
sectirerischer Mönch, welcher ängstlich um Anhänger seiner
Partei bemüht war, sich für einen helldenkenden und
wißbegierigen Jüngling interessirte, der den Aufseher über die
Kaaba zum Oheim hatte und den in sein zartes Gemüth gestreuten
Saamen des Christenthums mit sich nach Mekka zurücktragen
konnte; es war ferner natürlich, daß der Mönch begierig sein
mußte, seinen zu erwartenden Bekehrten, bei dem jetzigen
ungeordneten Zustande seiner religiösen Meinungen, an dem
Uebertritte zum jüdischen Glauben zu verhindern.
Mohammed kehrte nach Mekka zurück. Seine Einbildungskraft
war mit den Mährchen und Erzählungen, welche er in der Wüste
vernommen hatte, geschwängert; seinem Geiste waren die Lehren,
welche ihm im nestorianischen Kloster mitgetheilt worden
wären, tief eingeprägt. Er scheint eine geheimnißvolle
Ehrfurcht vor Syrien später stets genährt zu haben,
wahrscheinlich wegen der dort empfangenen religiösen
Eindrücke. Es war das Land, wohin sich Abraham aus Chaldäa
begeben hatte, mit sich nehmend die ursprüngliche Anbetung des
Einen wahren Gottes. »Wahrlich«, pflegte er in späteren Jahren
zu sagen, »Gott hat stets die Hüter seines Wortes in Syrien
erhalten; vierzig an der Zahl; wann Einer stirbt, wird ein
anderer an seine Stelle gesendet; durch sie wird das Land
gesegnet.« Und wiederum: »Heil den Völkern von Syrien, denn
die Engel des freundlichen Gottes breiten die Flügel über sie
aus.«
Anmerkung. Die Bekehrung Abrahams vom Götzendienste, in
welchen die Welt nach der Sündfluth gefallen war, wird in der
sechsten Sure (Abtheilung) des Korans erzählt. Abrahams Vater
Azer (Asar), oder Therah (Tharah), wie sein Name in der
Schrift gegeben wird, war ein Bildschnitzer und Götzendiener.
»Und Abraham sagte zu seinem Vater Azer: Warum nimmst du
gehauene Bilder zu Göttern. Wahrlich du und dein Volk sind in
Irrtum.
Hierauf wurde Abraham das Gewölbe des Himmels geöffnet, daß
er sehen möchte, wie die Welt regiert würde.
Als die Nacht kam und die Erde überschattete, so
betrachtete er einen glänzenden Stern, welcher am Firmament
schien, und rief seinen Volksgenossen, welche Sterndeuter
waren, zu: Das ist nach euren Behauptungen der Herr.
Aber der Stern ging unter und Abraham sagte: Ich habe
keinen Glauben an Götter, welche untergehen.
Er sahe den aufgehenden Mond und rief aus: Wahrlich das ist
der Herr. Aber der Mond ging gleicherweise unter, und er wurde
irre und betete zu Gott, indem er sagte: Führe mich, daß ich
nicht werde wie einer von diesen Leuten, welche vom rechten
Wege abgehen.
Als er die aufgehende Sonne sah, rief er aus: Das ist der
Ruhmvollste unter allen; das ist gewißlich der Herr. Aber die
Sonne ging auch unter. Hierauf sprach Abraham: Ich glaube
nicht, o meine Landsleute, an diese Dinge, welche ihr Götter
nennet. Wahrlich, ich wende mein Gesicht zu Ihm, dem Schöpfer,
welcher Beides, die Himmel und die Erde gemacht hat.«