Zivilisation und ...

Azmi Efendis Gesandtschaftsreise an den preußischen Hof

Ein Beitrag zur Geschichte der diplomatischen Beziehungen Preußens zur Hohen Pforte unter Friedrich Wilhelm II.

Dissertation Otto Müller 1918 n.Chr.

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Nach Thronbesteigung Sultan Selims

Noch ungünstiger wurden aber in Konstantinopel die Stimmungen und Bestrebungen für die Hertzberg'schen Ideen, als im April 1789 mit der Thronbesteigung des jungen, tatkräftigen Sultans Selim ein neuer Kriegseifer erwachte, der von Friedensunterhandlungen, geschweige denn Gebietsabtretungen, nichts wissen wollte. Diez wusste in dieser verzweifelten Lage nichts besseres zu tun, als den neuen Verhältnissen angepasste Instruktionen seines Hofes abzuwarten. Doch sehr spät brachten sie ihm nur wieder die alten Hauptbedingungen: Aufnahme Preußens in den Frieden und Abtretung Galiziens an Polen. Zugleich versprachen sie allerdings den Türken tätige Unterstützung, falls sie wieder über die Donau bis an den Balkan zurückgedrängt würden.

In diesen Tagen, Ende Juli wurde nun der Plan einer außerordentlichen türkischen Gesandtschaft nach Berlin wieder in Anregung gebracht. Sowohl der König, wie Hertzberg waren dafür, ungeachtet der damit verbundenen Kosten, die auf 50 000 Thaler berechnet wurden. Denn man glaubte, dass das Ansehen Preußens am Goldenen Hörn und in ganz Europa dadurch wesentlich gehoben werden würde, und dass man mit einem türkischen Gesandten in Berlin, wenn man ihn erst einmal gehörig bearbeitet habe (en lendoctrinant bien), weit mehr ausrichten könne als Diez in Konstantinopel selbst. Man könne ihn ja dann auch vielleicht noch nach Polen und Schweden schicken, um durch ihn die Quadrupelallianz mit diesen beiden Mächten zustande zu bringen.

Diez hatte für diese Mission dem Vertrauten des Sultans, Ratib Efendi, Hoffnungen gemacht, um ihn mehr für sich zu gewinnen; denn er plante ihn durch eine Intrige auf den Posten des ihm so verfeindeten Reis Efendi Raschid zu bringen. Leider misslang dies und zog ihm noch mehr die Feindschaft des letzteren zu.

Aber auch jetzt kam die Gesandtschaftsreise noch nicht zur Ausführung, weil infolge der kläglichen, Schlag auf Schlag erfolgenden Niederlagen der Türken im September, Oktober und November das Kabinett in Berlin wieder neue Hoffnung schöpfte, dass jetzt die Pforte bald gezwungen sein würde, auf die Hertzberg'schen Pläne einzugehen. Mit wahrer Ungeduld, die um so größer war, als man auch gewiss wissen wollte, dass die geheimen Friedensunterhandlungen zwischen den kriegführenden Mächten schon sehr weit gediehen seien, wurde Diez nun mit offiziellen Depeschen und vertraulichen Schreiben bestürmt: Keine Zeit mehr zu verlieren, um den Diwan zur Annahme des vom König in Vorschlag gebrachten Vertrages auf ein Schutz und Trutzbündnis wenn erforderlich durch Drohung zu nötigen.

Leider kam aber Diez bei dem schleppenden Geschäftsgang der Pforte damit nicht vorwärts. Dazu war die größte Fatalität für ihn, dass der Diwan selbst schon Ende August durch Verrat in den vollständiggen Besitz nicht nur des preußischen Vertragsentwurfes, sondern auch der geheimen Instruktionen des Berliner Kabinetts gelangt war, ohne dass er selbst eine Ahnung davon hatte. Obwohl die Situation jetzt für Preußen durch seine Erfolge in Polen, durch den Abfall der belgischen Provinzen, sowie die Unruhen in Ungarn und die Agonie des Kaisers so günstig war, dass man. Diez anweisen konnte, ein Offensiv und Defensivbündnis ohne alle Einschränkungen mit der bestimmten Zusage anzubieten, dass der König im kommenden Frühjahr die Türkei mit allen seinen Streitkräften unterstützen wolle, ließ der hintergangene Diez sich in endlosen Diskussionen doch schließlich von dem verschlagenen Reis Efendi im Januar 1790 zur Annahme jenes ungeheuerlichen Vertrages nötigen, durch den sich Preußen verpflichtete, im Frühjahr die beiden Kaiserhöfe anzugreifen und die Restitution sogar der Krim zu erwirken. Glücklicherweise sah Diez dabei eine Ratifikationsfrist von fünf Monaten vor.

Mit triumphirendem Ton meldete er die "große Neuigkeit" nach Berlin. Doch hier, wo schon nach der peinlichen Entdeckung jenes Verrates der Depeschen seine Abberufung beschlossen war, herrschte die tiefste Verstimmung über eine solche Überschreitung seiner Vollmachten. Als sein Nachfolger kam der Major von Knobelsdorf nach Konstantinopel.

Obwohl dieser Allianzvertrag ganz geheim gehalten werden sollte, wurde er doch gleich überall bekannt und setzte die ganze politische Welt in Aufregung. Vergeblich bemühte man sich in Berlin nachzuweisen, dass er nur einen defensiven Charakter habe. Man hätte sich jetzt gar zu gern noch so glimpflich wie möglich aus der Sache gezogen und schob deshalb die Ratifikation möglichst hinaus. Nun drängte aber die Pforte zu wissen, wie der König seinen Verpflichtungen nachzukommen gedenke. Friedrich Wilhelm erwiderte, dass er hoffe, durch Unterhandlungen die Kaiserhöfe zur Zurückgabe aller ihrer Eroberungen bis auf die Krim zu bewegen, und forderte zugleich die Pforte auf, den Krieg energisch fortzusetzen. In der Tat ließ das versöhnliche Entgegenkommen des jüngst zur Herrschaft gelangten Kaisers Leopold eine friedliche Einigung möglich erscheinen. Gleichwohl rüstete jedoch der König und ließ seine Truppen in Schlesien aufmarschieren.

Im Dorfe Schönwalde nahm der König sein Hauptquartier und vollzog hier als ersten bedeutenden Akt am 20. Juni 1790 die so lange verschobene Ratifikation des Allianzvertrages mit der Pforte. Um aber dabei die beiden fatalen Klauseln wegen der Kriegserklärung an Russland und der Wiedereroberung der Krim zu umgehen, fügte er dem Versprechen seiner Erfüllung aller Verpflichtungen die einschränkende BeStimmung bei, „autant qu'il sera en notre pouvoir et que les circonstances le permettronf" und sprach, ohne die Krim zu erwähnen, nur von der Zurückgabe der Provinzen, welche die Pforte „im gegenwärtigen Kriege" verloren habe. Die Pforte ging darüber leicht hinweg und ratifizierte auch nun ihrerseits den Vertrag mit dem leisen Vorbehalt, „dass sie ihn treulich erfüllen werde aussi longtemps que la Cour de Prusse ne feva pas des demarches contve les stipulations, quelle a confirmees.

Dabei herrschte aber in Schönwalde eine entschieden kriegerische Stimmung, während man in Wien das Äußerste zu vermeiden suchte. Mit Ungeduld drängte der König zur Entscheidung. Am 26. Juni begannen in dem Städtchen Reichenbach die Verhandlungen mit Österreich. Sie waren zwar im Anfang noch aussichtsvoll für Hertzberg. Aber das ungewisse Verhältnis zu England, von dessen Seite sie mit Absicht hingezogen wurden, und der Einfluss des gegen Hertzberg arbeitenden preußischen Gesandten in Warschau, Lucchesini, bestimmten schließlich unter dem Druck der im Felde stehenden Armee den wankelmutigen Sinn Friedrich Wilhelms zur Aufgabe des Hertzberg'schen Tauschprojekts.

So kam am 27. Juli die Convention von Reichenbach zum Abschluss, wodurch Leopold sich verpflichtete, sobald wie möglich einen Waffenstillstand mit der Pforte zu vereinbaren, dem dann der Abschluss des Friedens auf Grund des strengen status quo folgen sollte, und ferner sich jeder Teilnahme an dem Kriege Russlands mit der Türkei zu enthalten. Hierfür übernahm Preußen mit den Seemächten die Garantie.

Außer dem großen Nachteil Osterreich gegenüber kam Preußen so in seiner teuer genug erkauften Freund schart zur Pforte in eine schiefe Lage, aus der es sich nie wieder herauswinden konnte, und es verlor den weltgeschichtlichen Einfluss, den es damals in den orientalischen Dingen hätte gewinnen können.

Während so in Berlin jeder ernste Wille zu einer tätigen Unterstützung der Türkei fehlte, hoffte man am Goldenen Hörn noch immer auf diese Hilfe und hörte nicht auf, den Major von Knobelsdorf, den Oberst von Götze und den Marquis von Lucchesini darum anzugehen. Ja nach dem Fall von Ismail entschloss sich der Diwan schließlich zu dem letzten Mittel, Preußen zu einer tatkräftigeren Wahrung der Interessen der Türkei zu bestimmen, indem jetzt jene schon mehrfach geplante Gesandtschaftsreise zur Ausführung gebracht wurde.

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