Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Brief von Pierre Lotis Mutter.

Rochefort, Mittwoch, 20. Oktober 1876.

Mein lieber Sohn!

Vor mir liegt Dein Brief, den die Katze Deines Nachbarn mit Tinte beschüttet hat, wie Du schreibst, und das veranlaßt mich, Dir ein wenig von der Deinen zu erzählen, von der armen Moumoute, die Dir wohl immer noch ein wenig lieb ist, trotz aller zur Schau getragenen Gleichgültigkeit. So magst Du denn wissen, daß besagte Moumoute, die wirklich eine schöne Katze genannt werden muß, nun auch zu vorbildlicher Weisheit herangereift ist; seit mehr als sechs Monaten hat sie uns nicht mehr die Ungelegenheit bereitet, Junge zu bekommen, und es hat auch nicht den Anschein, als ob sie Verlangen danach trüge. Darum erwirbt sie sich auch immer mehr die Zuneigung ihrer gütigen Herrschaft, und oft findet man sie auf den Knien unserer armen alten Tante, die, voller Schwäche für sie, es nicht immer zuwege bringt, sie fortzuschicken, wenn sie ihr auch oft durch ihr Gewicht und ihre Ungeniertheit unbequem wird. Gegen ihresgleichen aber ist Moumoute durchaus nicht wohlwollend, und besonders schwer reizt es sie, wenn eine andere Katze unseren Hof zu betreten wagt. So verfolgte sie kürzlich das arme Kätzchen der Madame Besnard fauchend, kratzend und mit Schlägen bis nach Hause, und wurde von des geängstigten Tieres ergrimmter Herrin mit Schimpf und Schande heimgeschickt ...

Man erkundigt sich vielfach nach Dir und fast immer werde ich gefragt, was Du zu den Vorgängen im Orient sagst, wie man dort im Lande von den Dingen denkt, – und nie weiß ich darauf zu antworten. Könntest Du uns nicht einiges darüber schreiben, ohne Geheimnisse preisgeben zu müssen?

Erzähle uns doch auch ein wenig von Deinem Kapitän und von den Offizieren des »Gladiateur«. Lebst Du so wenig außerhalb des Schiffes, daß Du auch davon nichts zu berichten weißt?

Meine liebe Tochter kommt wohl nicht so bald, und so werde ich heuer Weihnachten, das schöne Fest, ohne einen von Euch feiern müssen. Doch ob Ihr, meine geliebten Kinder, bei mir weilt oder in der Ferne, ich kann doch immer für Euch beten, und hierin liegt ein großer Trost.

Ich küsse Dich, mein liebes Kind, aus vollem Mutterherzen.

Nadine

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