Brief von Pierre Lotis Mutter.
Rochefort, Mittwoch, 20. Oktober 1876.
Mein lieber Sohn!
Vor mir liegt Dein Brief, den die Katze Deines Nachbarn mit
Tinte beschüttet hat, wie Du schreibst, und das veranlaßt
mich, Dir ein wenig von der Deinen zu erzählen, von der armen
Moumoute, die Dir wohl immer noch ein wenig lieb ist, trotz
aller zur Schau getragenen Gleichgültigkeit. So magst Du denn
wissen, daß besagte Moumoute, die wirklich eine schöne Katze
genannt werden muß, nun auch zu vorbildlicher Weisheit
herangereift ist; seit mehr als sechs Monaten hat sie uns
nicht mehr die Ungelegenheit bereitet, Junge zu bekommen, und
es hat auch nicht den Anschein, als ob sie Verlangen danach
trüge. Darum erwirbt sie sich auch immer mehr die Zuneigung
ihrer gütigen Herrschaft, und oft findet man sie auf den Knien
unserer armen alten Tante, die, voller Schwäche für sie, es
nicht immer zuwege bringt, sie fortzuschicken, wenn sie ihr
auch oft durch ihr Gewicht und ihre Ungeniertheit unbequem
wird. Gegen ihresgleichen aber ist Moumoute durchaus nicht
wohlwollend, und besonders schwer reizt es sie, wenn eine
andere Katze unseren Hof zu betreten wagt. So verfolgte sie
kürzlich das arme Kätzchen der Madame Besnard fauchend,
kratzend und mit Schlägen bis nach Hause, und wurde von des
geängstigten Tieres ergrimmter Herrin mit Schimpf und Schande
heimgeschickt ...
Man erkundigt sich vielfach nach Dir und fast immer werde
ich gefragt, was Du zu den Vorgängen im Orient sagst, wie man
dort im Lande von den Dingen denkt, – und nie weiß ich darauf
zu antworten. Könntest Du uns nicht einiges darüber schreiben,
ohne Geheimnisse preisgeben zu müssen?
Erzähle uns doch auch ein wenig von Deinem Kapitän und von
den Offizieren des »Gladiateur«. Lebst Du so wenig außerhalb
des Schiffes, daß Du auch davon nichts zu berichten weißt?
Meine liebe Tochter kommt wohl nicht so bald, und so werde
ich heuer Weihnachten, das schöne Fest, ohne einen von Euch
feiern müssen. Doch ob Ihr, meine geliebten Kinder, bei mir
weilt oder in der Ferne, ich kann doch immer für Euch beten,
und hierin liegt ein großer Trost.
Ich küsse Dich, mein liebes Kind, aus vollem Mutterherzen.
Nadine