Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Vaudreuil«

Kap Horn, Oktober 1871.

Ein junger Seehund tummelte sich fröhlich längs des Schiffes, ohne daß ein besonderer Grund für solche Fröhlichkeit vorhanden gewesen wäre. Wir lagen zwischen hohen, nackten grauen Steilküsten verankert; auf unsere Häupter pfiff vom Kap Horn her ein furchtbarer Sturm hernieder, der oben große schwarze Wolken aus dem schon verfinsterten Himmel jagte. Hinter den kahlen Felsen, die uns Schutz boten, hörten wir das Getöse der Wogen, das schlecht Wetter ankündigt. Die See wühlte auch diese trübselige Bucht auf, in welcher das kalte dunkle Grün des Meeres von Streifen weißlichen Schaumes durchzogen war.

Alles rund um uns sah gespenstisch aus und machte den Eindruck des Verbanntseins, selbst die Pinguinfamilien, die weißbäuchig in schnurgeraden Reihen alle nahen Inselchen besetzt hielten.

Aber der junge Seehund machte tolle Sprünge im eisigen Wasser und seine Heiterkeit hatte etwas Rührendes inmitten von solcher Umgebung.

Sein Leib war feist gerundet und glänzte wie geschliffener Achat. Vor jedem neuen Untertauchen ragte sein pfiffiges Köpfchen aus dem Wasser, das ein schöner Schnurrbart schmückte, wie große Katzen ihn haben. Er prustete dann und schüttelte sich, wie es Kinder beim Baden tun, um Wassertropfen von ihrer Nase zu beuteln.

Die Matrosen warfen ihm Fischreste zu, und er erhaschte sie im Fluge, mit der Geschicklichkeit eines jungen Clowns. Dann aber, gleichsam zum Danke, gab er eine Vorstellung, indem er auf den Wellen artige Sprünge und Kunststücke vollführte. Es sah wirklich aus, als mime er für ein Auditorium, als wolle er seine Wohltäter belustigen.

Er hatte sicher niemals ein Schiff gesehen, der arme kleine Kerl: immer näher kam er heran, des Vertrauens voll, und die Mannschaft schmiedete bereits Pläne, ihn zu zähmen, was sicherlich nicht schwer gewesen wäre. Doch da krachte ein Schuß, der junge Seehund sah verwundert auf, und schlug dann seinen letzten Purzelbaum ... Dann sahen wir einige Sekunden lang, wie seine kleinen Flossen das Wasser schlugen, das schnell rot ward von seinem strömenden Blut; und dann war er nur mehr ein armes lebloses Ding, das die See hin und her wiegte.

Unter der Schiffsmannschaft erhob sich zorniges Murmeln, das schnell unterdrückt wurde, denn der glückliche Schütze, der eben ein so prächtiges Stück erlegt hatte, war ein Aspirant.

Ich wollte jedes Aufsehen vermeiden, und so wartete ich, bis ich mit meinem Kameraden allein war, um ihm zu sagen, wie ich über ihn dachte. Dann hatten wir allerdings eine Auseinandersetzung, die fast mit Faustschlägen geendet hätte.

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