Im Namen Gottes, des Sich Erbarmenden, des Barmherzigen
An seine Exzellenz Herrn Gorbatschow,
Vorsitzender des Präsidiums des
Obersten Sowjets der UdSSR
Mit den besten Wünschen für Glück und Wohlergehen Eurer
Exzellenz und der sowjetischen Nation!
Da nach Ihrem Amtsantritt der Eindruck entstanden ist, daß
sich Eure Exzellenz hinsichtlich der politischen Geschehnisse
in der Welt, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen, die die
Sowjetunion betreffen, in einer neuen Phase der Betrachtung,
Beurteilung und Begegnung befinden und Ihre Kühnheit bei der
Behandlung internationaler Realitäten durchaus Ausgangspunkt
zu Veränderungen bzw. einem Einstürzen der in der Welt
herrschenden Proporze sein können, halte ich es für
erforderlich, Sie auf einige Punkte aufmerksam zu machen:
Wenngleich es möglich ist, dass sich Ihre neuen
Überlegungen und Entscheidungen lediglich auf eine Lösung
parteipolitischer Probleme und nebenher einiger
Bevölkerungsangelegenheiten beschränken, so ist doch der Mut,
eine Ideologie, die lange Jahre die revolutionäre Jugend
hinter eisernen Vorhängen gefangen hielt, zu überprüfen, zu
würdigen.
Sollten Ihre Überlegungen darüber hinausgehen, wird das
erste, das gewiß zu Erfolg führen wird, darin beruhen, die
Politik Ihrer Vorgänger, die Gott und Religion aus der
Gesellschaft verbannten – wodurch ohne Zweifel der
sowjetischen Bevölkerung der größte und härteste Schlag
versetzt wurde – zu revidieren.
Bedenken Sie, dass nur so den Anforderungen der Welt
wirklich Genüge getan werden kann.
Es mag allerdings sein, dass Ihnen aufgrund der
ungeeigneten Methoden und fehlerhaften Strategie der früheren
kommunistischen Machthaber in Sachen „Wirtschaft“, die
westliche Welt wie ein blühender Garten erscheint. Jedoch der
Schein trügt!
Wenn Sie lediglich die festgefahrene Wirtschaftsmisere des
Sozialismus und Kommunismus beseitigen wollen und dazu im
Schoß des westlichen Kapitalismus Zuflucht suchen, so werden
Sie nicht nur das Leiden Ihrer Gesellschaft nicht heilen
können, sondern andere werden kommen und Ihre Irrtümer
korrigieren müssen. Denn wenn heute der Marxismus mit seinen
wirtschafts- und sozialpolitischen Praktiken in eine Sackgasse
geraten ist, so ist die westliche Welt hinsichtlich des
gleichen Problembereiches – wenn auch in anderer Form – und
zudem in Bezug auf andere Belange ebenfalls mit
Schwierigkeiten konfrontiert.
Eure Exzellenz, Herr Gorbatschow,
es gilt, der Wahrheit ins Auge zu sehen! Das eigentliche
Problem Ihres Landes betrifft nicht „Eigentum“, „Wirtschaft“
und „Freiheit“. Ihre Schwierigkeit ist das Fehlen eines echten
Überzeugtseins von Gott...,
das gleiche, das auch den Westen in Geistlosigkeit und
Sackgassen getrieben hat oder treiben wird.
Ihr eigentliches Handikap ist Ihr lang währender und
sinnloser Kampf gegen Gott, den Ursprung allen Seins und der
Schöpfung.
Eure Exzellenz, Herr Gorbatschow,
alle sind sich darüber im klaren, dass der Kommunismus von
nun an in den geschichtspolitischen Museen der Welt zu suchen
ist. Darum, weil der Marxismus – und zwar deswegen, weil er
eine materialistische Lehre ist – keinem der tatsächlichen
Bedürfnisse des Menschen gerecht werden konnte. Materialität
kann die Menschheit aus der Krise, in der sie infolge ihres
fehlenden Glaubens an Geistiges geraten ist und worin das
Grundleiden der menschlichen Gesellschaft in Ost und West
beruht, nicht befreien.
Eure Exzellenz, Herr Gorbatschow,
es mag sein, dass Sie sich in mancherlei Hinsicht
überzeugungsmäßig noch nicht vom Marxismus distanziert haben
und auch weiterhin in ihren Gesprächen Ihr absolutes
Überzeugtsein von ihm zum Ausdruck bringen. Dennoch..., Sie
wissen selbst, dass dieses den Realitäten effektiv
widerspricht.
Der Führer Chinas hat dem Kommunismus den ersten Hieb
versetzt, Sie den zweiten und, wie es scheint, den letzten.
Heute hat die Bezeichnung „Kommunismus“ weltweit ihre
Aktualität und Aussagekraft verloren.
Daher appelliere ich nachdrücklich an Sie, sich jedoch
nicht, währenddessen Sie die Mauern der marxistischen
Illusionen einreißen, in den Fesseln des Westens und großen
Mephistos zu verfangen. Ich hoffe, dass Ihnen die Ehre zuteil
werden möge, sowohl die Geschichte als auch Ihr Land von den
letzten modrigen Überresten des siebzigjährigen Irrweges der
kommunistischen Welt zu bereinigen. Heute werden Ihnen
gleichgesinnte Regierende, denen es um das Wohl von Heimat und
Bevölkerung geht, niemals länger bereit sein, Bodenschätze und
Ressourcen ihrer Länder für die Stabilisierung des
Kommunismus, dessen Einstürzen selbst deren Kinder nicht
verborgen blieb, hinzugeben.
Herr Gorbatschow,
als nach siebzig Jahren von den Minaretten der Moscheen
einiger ihrer Republiken den Ruf „Allah u Akbar“ (Gott ist
erhaben – groß!) und das Bezeugen der Prophetenschaft des
letzten Gesandten (s.) erklang, rührte dieses die Anhänger des
wahren Islam – jenes Islam, den Prophet Muhammad (s.)
verkündete – zu Tränen.
Ich halte es für angebracht, Sie auf einige Punkte
aufmerksam zu machen, damit Sie die materialistische und
theistische Weltanschauung möglicherweise noch einmal
überdenken.
Die Materialisten verstehen – ihrem Weltbild gemäß – die
„Sinneserfahrung“ als das Kriterium des Erkennens. Sie gehen
davon aus, dass alles, was nicht mit den Sinnen wahrnehmbar
ist, außerhalb der Wissenschaft liegt. Für sie ist das Sein
Materie und das, was nicht Materie ist, nicht existent.
Demzufolge ist für sie die transzendente Welt – wie die
Existenz des Erhabenen Gottes, Offenbarung, Prophetentum und
Auferstehung – nichts weiter als ein Märchen, die, weil laut
der theistischen Weltanschauung „Sinneserfahrung“ und
„Vernunftschluss“ gemeinsam das Kriterium für Erkenntnis sind.
Das, was mit der Vernunft erfasst wird, fällt in das Reich der
Wissenschaft, auch wenn es mit den Sinnen nicht wahrzunehmen
ist.
Das Sein umfasst sowohl das Transzendente als auch das mit
den Sinnen konkret Erfassbare, und etwas, das nicht Materie
ist, kann dennoch existent sein. Ebenso wie sich Materielles
auf Immaterielles beruft, stützt sich empirisches Erkennen auf
rationales.
Der Heilige Koran weist jene Basis, auf der das
materialistische Denken aufgebaut ist, zurück und antwortet
denjenigen, die meinen, Gott existiere nicht, sonst wäre er zu
sehen:
„O Moses, wir werden dir nicht glauben, bis wir Gott offen
sehen. – Da ergriff euch der Donnerschlag, während ihr
zuschauet.“ (2:55)
mit den Worten:
„Die Blicke erreichen Ihn nicht, Er aber erreicht die
Blicke. Und Er ist der Feinfühlige, der Kenntnis von allem
hat.“ (6:103)
Doch lassen wir den Heiligen Koran und seine Erklärungen zu
Offenbarung, Prophetentum und Auferstehung, da wir andernfalls
– angesichts Ihres Blickwinkels – erst ganz am Anfang der
Diskussion stünden. Zudem beabsichtige ich keinesfalls, Sie
mit komplizierten philosophischen oder gar
islamisch-philosophischen Themen zu belasten. Ich möchte es
daher bei zwei einfachen, dem menschlichen Wesen und Gewissen
gemäßen Punkten bewenden lassen, die auch den Politikern von
Nutzen sein können.
Es zählt zu den Offensichtlichkeiten, dass Materie bzw.
Stoffliches, was immer es auch sein mag, unbewusst seiner
selbst ist. Eine steinerne Statue, eine menschliche Plastik
beispielsweise weiß von sich und ihren verschiedenen Seiten
nichts, wohingegen sich Mensch und Tier dessen recht wohl
bewusst sind. Sie wissen, wo sie sind und was um sie herum vor
sich geht, d.h. sie erkennen das vielfältige Geschehen in
ihrer Umwelt. Folglich gibt es in Mensch und Tier etwas, das
über der Materie steht. Etwas, das außerhalb des Materiellen
liegt und mit dem Sterben der Materie nicht vergeht, sondern
bleibt.
Seinem Wesen gemäß strebt der Mensch alles Vollkommene an
und zwar in dessen absoluter Form. Wie Ihnen recht wohl
bekannt ist, strebt er z.B. nach vollkommener Macht, nicht
nach einer unvollkommenen. Wenn die Welt in seiner Hand ist
und er hört, dass es noch weitere gibt, so wird es ihm –
naturbedingt – daran gelegen sein, auch über diese zu
verfügen. Erfährt der Mensch – so gelehrt er auch sein mag –
dass es außer dem seinen noch anderes Wissen gibt, so möchte
er dieses ebenfalls erwerben. Es müssen demnach absolute Macht
und absolutes Wissen gegeben sein, so dass er nach ihnen
strebt. Er möchte das „absolut Wahre“ erreichen, um in Gott
aufzugehen.
Das in der Natur eines jeden Menschen ruhende Verlangen
nach ewigem Leben ist ein Zeichen für das Gegebensein einer
ewigen, gegen den Tod geschützten Welt. Wenn sich Eure
Exzellenz diesbezüglich informieren wollen, können Sie Ihre in
diesem Metier bewanderten Gelehrten veranlassen, außer der
westlichen Philosophien auch die Werke des Alpharabius und
Avicennas zu studieren, auf dass Ihnen deutlich werde, dass
sich das Gesetz von „Ursache und Wirkung“ – in dem jede
Kenntnis fußt – auf die Vernunft stützt, nicht auf
Sinneserfahrung.
Das Erkennen von Allgemeinbegriffen und –gesetzen, auf die
sich eine jegliche Argumentation stützt, ist ebenfalls
rational bedingt, nicht empirisch.
Auch in den Werken Sohravardis (Gottes Segen sei mit ihm!)
mögen sie sich über die „Philosophie der Illumination“
erkundigen und Euer Exzellenz auseinandersetzen, dass jede
Materie des absoluten Lichtes – eines Lichtes, das für die
Sinne nicht erreichbar ist – bedarf. Wie auch, dass das
intuitive Begreifen des Menschen seiner eigenen Wahrheit nicht
auf Sinneserfahrung beruht.
Bitten Sie die Gelehrten, sich mit der „Muti’aliah-Philosophie“
des Sadr ul Muti’alihins (Gottes Wohlgefallen sei mit ihm!
Gott möge ihn am Jüngsten Tage gemeinsam mit den Propheten und
Aufrichtigen rufen!) zu befassen, auf dass Ihnen deutlich
werde, dass das Wesen der Wissenschaft außerhalb der Materie
liegt, dass jegliches Denken rein von Materie und den Gesetzen
der Materie nicht untergeordnet ist!
Da ich Sie nicht ermüden möchte, werde ich die Bücher der
großen Mystiker, insbesondere der Muhyiddin Ibn Arabis nicht
namentlich aufführen. Sollten Sie jedoch über die Gedanken
dieses großen Mannes etwas erfahren wollen, so entsenden Sie
einige ihrer befähigten Gelehrten, die sich mit diesem
Themenkomplex beschäftigen, nach Qum, damit ihnen dort – so
Gott will – nach einigen Jahren die hohe Feinheit und Tiefe
der Erkenntnisphasen bewusst werde..., etwas, das ohne diese
Reise nicht möglich ist.
Eure Exzellenz, Herr Gorbatschow,
nun, nach diesen einleitenden Hinweisen, rufe ich Sie auf,
sich ernsthaft über den Islam zu informieren. Nicht etwa
deswegen, weil Islam und Muslime Ihrer bedürften, sondern der
hohen und universalen Werte des Islam wegen, die der
Erleichterung und Befreiung aller Völker dienen, als auch die
wesentlichen Schwierigkeiten der Menschheit beseitigen können.
Eine aufmerksame Betrachtung des Islam wird Ihnen
möglicherweise eine Lösung des Afghanistan-Problems und
ähnlicher in der Welt vorhandener Angelegenheiten vor Augen
führen.
Uns liegt das Ergehen der Muslime in aller Welt ebenso am
Herzen wie das der Muslime unseres Landes. Wir wissen uns
stets an ihrem Geschick mitbeteiligt. Mit der Zubilligung
relativer Religionsfreiheit in einige Republiken der
Sowjetunion zeigten Sie, dass Sie nicht mehr davon ausgehen,
dass die Religion ein Narkotikum für die Gesellschaft sei.
Allen Ernstes..., kann wohl eine Religion, die Iran zu
einem uneinnehmbaren Felsen gegenüber den Supermächten werden
ließ, ein Narkotikum der Gesellschaft darstellen? Ist wohl
eine Religion, die effektiv Gerechtigkeit in der Welt und die
Befreiung des Menschen aus materiellen und geistigen Fesseln
anstrebt, als Opium der Gesellschaft zu bezeichnen?
Wohl aber ist eine Religion, die dazu beiträgt, dass das
materielle und geistige Vermögen der islamischen und
nicht-islamischen Länder den Groß- und Supermächten zur
Verfügung gestellt wird und den Bevölkerungen einredet, daß
Religion und Politik voneinander zu trennen seien, Opium für
die Gesellschaft! Doch sie ist nicht als eine wirkliche
Religion zu verstehen, sondern als etwas, das unsere Nation
als „amerikanische Religion“ bezeichnet.
Abschließend möchte ich betonen, dass die Islamische
Republik Iran als größter und mächtigster Stützpunkt der
islamischen Welt recht leicht das Glaubensvakuum in Ihrem
System zu füllen vermag und unser Land – nach wie vor – eine
„gute Nachbarschaft“ und bilaterale Beziehungen befürwortet
und respektiert.
Friede sei mit dem, der der Rechtleitung folgt.
Ruhullah al-Mussawi al-Khomein
Als Reaktion war
Schewardnadse bei Imam Chomeini